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13/06/2009

Kleinste Ausstellungsfläche Berlins inszeniert s.h.e.

Unter der Adresse Friedrichstraße 210, beim Checkpoint Charlie, führt eine gewölbte Durchfahrt in den Innenhof eines Gebäudes aus den Jahren um 1910. An der Schwelle zwischen Innen und Außen, liegt am Eingang zu einem marmorverkleideten Treppenhaus die frühere Pförtnerloge des Hauses. Nach einer gelungenen Renovierung haben Martin Mlecko, Fotograf und Filmemacher, und Wolfgang Schöddert, Kunsthistoriker, diesen originellen Ort unter dem Namen Loge zu einem Ausstellungsort für raumbezogene Arbeiten entwickelt. Zwei kleine, mit Tudorbögen abgerundete Schiebefenster gewähren den Blick von Drinnen nach Draußen und umgekehrt. Die Loge ist ein begehbarer Raum und dennoch mehr Vitrine als Raum.

[caption id="attachment_1826" align="alignleft" width="208" caption="Eingang zur Loge © Katia Hermann"]Eingang zur Loge©Katia Hermann[/caption]

Das Werk

Theoretisch tot von Stefan Heinrich Ebner, Pseudonym s.h.e., ist eine Skulptur, ein Gebilde, dessen Strukturelemente mit Tierfellen umhüllt sind. Frei in der Loge hängend ertasten die längsten Fühler des Gebildes die Dimension des Raumes - ca. 4qm groß mit einem unregelmäßigen Grundriss - und streben nach Ausdehnung. Struktur und Fell wirken wie eine wesenhafte Einheit. Theoretisch tot berührt diese Einheit und verlangt nach der Reflexion über Entwicklung und Wachstum, Entfaltung und Erfüllung, Leben und Tod. Der Titel des Werkes spricht diese Reflexion mit einer gewissen Ironie an.

Zwei Jahre hing die Basis des Werkes im Atelier s.h.e.-Studio von Stefan Heinrich Ebner in den Josettihöfen in der Rungestrasse. Es brauchte eine lange Zeit, um zu wachsen. Mit ihrer Basisstruktur aus Bambus verlangte die Skulptur keine Kanten, sondern eine „unscharfe“ Hülle. Fell war das perfekte Material: Natürlich, organisch, weich, mit unscharfen, unregelmäßigen Rändern und quasi lebendig. Hier ein „Bastard“, Felle von verschiedenen Tieren wurden zu einem neuen „Wesen“ zusammengefügt.

[caption id="attachment_1827" align="alignleft" width="224" caption="Ansicht "Theoretisch tot" in der Loge © Katia Hermann"]Ansicht Theoretisch tot in der Loge©Katia Hermann[/caption]

Der Künstler

Stefan Heinrich Ebner wurde 1965 in Freiburg geboren und arbeitet seit 1986 in Berlin. Er gründete 1989 das „Jour Fix im Cafe Einstein, Tisch 133", diskutierte über raumbezogene Kunst und soziale Skulptur. Seine Projektionen und nichtsimultanen Räume führten ihn zur Bildarchitektur, die er in Form von Fotogeflechten verschiedener Architekturaufnahmen im Deutschen Architekturzentrum (DAZ) sowie Galerien in Deutschland, New York und der Schweiz ausstellte. Seine Farbfeldanimationen, die aus der 3-D entsprungen sind, die Lichtbilder, die Projektionen auf Pneumatik, der Raumfilter, die Raumfotografie, die Raumfalten und die Bildarchitekturen finden alle ihren Ursprung im strukturellen Aufbau.

Stefan Heinrich Ebner befasste sich lange mit Architekturtheorie. Die ästhetische Infrastruktur ist der Überbegriff seiner Kunst. Nach vielen Jahren der Arbeit am Computer packte ihn das Verlangen "fassbare" Strukturen, Skulpturen, in den wahrhaftigen Raum zu bringen. So entstanden in den letzten Jahren eine Reihe von hängenden Strukturen, bedeckt mit Fell oder auch Federn, die mit Poesie unsere Sinne ansprechen und das Verlangen erzeugen, sie zu umgehen, zu streicheln oder gar hineinzusteigen.

An diesem Ort, der Loge, ist dies leider nicht möglich, nur die zwei abgerundeten Schiebefenster und das schmale Fenster in der Tür gewähren Blicke. Doch umso größer ist auch der Effekt in dieser Art Vitrine: Das eingeschlossene Werk strebt nach außen zum Betrachter, das dessen Verlangen nach Nähe nur steigert.

[caption id="attachment_1828" align="alignleft" width="225" caption="Theoretisch tot von s.h.e. © K atia Hermann"]Theoretisch tot von s.h.e. ©K atia Hermann[/caption]

Der Ort

In ihrer ursprünglichen Funktion war die Loge eine Registratur für Rituale innerhalb der sie umgebenden Architektur. Ein Wechselspiel zwischen Innen und Außen gehört zu ihren Eigenschaften. Sie war ein eng angelegter Arbeitsplatz, ein Ort der Information und zugleich ein Schicksalsplatz - Menschen wurden willkommen geheißen oder zurück auf die Straße verwiesen, angezogen oder abgestoßen. Die Loge war Arbeiten gewidmet, heute der Kunst. Der Wunsch, das Bewusstsein gegenüber einer alltäglichen Schönheit und Poesie zu stärken, steht gleichwertig daneben.

Martin Mlecko und Wolfgang Schöddert arbeiten seit den frühen 1990er Jahren an gemeinsamen Projekten im öffentlichen Raum. Künstlerische und kuratorische Grundgedanken basieren dabei stets auf sozialpolitischen Zielsetzungen. Wesentliches Merkmal war und ist der diskursive Austausch und die Einbindung Anderer in konzeptuelle Prozesse und gleichzeitig die Auseinandersetzung mit Orten, die bestimmte kulturelle Zusammenhänge spiegeln.

An diesem geladenen Ort in der Friedrichstraße in Berlin, der an einem einst neuralgischen und politischen Ort im historischen Zeitungsquartier Berlins liegt und heute zum touristischen Magneten der Stadt gehört, wird die Intention des Projektes und des Werkes Theoretisch tot von Stefan Heinrich Ebner sinnlich spürbar.

04/06/2009

BORDERS: Internationale Gruppenausstellung in Berlin

Der Begriff Border wird in einer Gruppenausstellung in Berlin zur Diskussion gestellt: In seinem 3. Ausstellungsprojekt BORDERS - Rand Grenze Rahmen präsentiert der Berliner Kunstverein ConcentArt e.V. in seiner Location in Kreuzberg 17 nationale und internationale Künstler und Künstlergruppen (5. Juni bis 26. Juli 2009). Der Kunstverein stellt künstlerische Auseinandersetzungen, Methoden und Darstellungsformen über gesellschaftliche Phänomene und Diskurse der Gegenwart in den Mittelpunkt seiner Ausstellungen, für die Begriffe aus dem kollektiven Bewusstsein ausgewählt und zur Diskussion gestellt werden.

Begriffe aus dem kollektiven Bewusstsein

[caption id="attachment_1668" align="alignleft" width="224" caption="Vox Populi von Don Ritter, Borders © K. Hermann"]Vox Populi von Don Ritter, Border©K.Hermann[/caption]

Der Begriff Border und seine deutschen Entsprechungen im Titel des gleichnamigen Ausstellungsprojektes ist ein Angebot des Berliner Kunstvereins ConcentArt e.V. an Künstler aller Genres, Medien, Darstellungs- und Ausdrucksformen, sich produktiv mit gesellschaftlichen Realitäten auseinanderzusetzen und sie sinnlich mit ihren künstlerischen Mitteln in Entsprechung zu dem Begriff Border erfahrbar zu machen. Nach den thematischen Gruppenausstellungen "Sicherheit" und "Wa(h)re Kunst" zeigt ConcentArt e.V. in dem großen Ausstellungsraum in einem Hinterhof der Kreuzbergstraße mit BORDERS – Rand Grenze Rahmen wieder einmal Werke von großer Qualität. Kuratiert wurde die internationale Gruppenausstellung vom Künstler Georgi Begun und dem Berliner Kurator Dr. Rolf Külz-Mackenzie.

Der auch in der deutschen Sprache gebräuchliche Begriff Border steht für eine Bandbreite von Begrifflichkeiten ohne wirkliche Begrenzung und spielt in seinen deutschen Synonymen - Rand, Grenze, Rahmen - in unserer Wahrnehmung eine Rolle. Das angelsächsische Border steht für all dieses und für weitere Zusammenhänge aus der Psychologie (Borderline Syndrom), der Ökonomie (Cross border leasing) oder der Politik (State Border). Wir leben in einer Zeit der Grenzenlosigkeit, der Entgrenzung, der Grenzüberschreitung, der Randexistenzen oder der Rahmenlosigkeit. Wir stossen an die Grenzen der Wahrnehmung, leben in unsichtbaren Grenzen, fallen aus dem Rahmen, oder stehen am Rande des Abgrundes.

Die US-Videokünstlerin Nicole Cohen über Borders von Zeit und Raum


In der Videoinstallation Jet lag von Nicole Cohen wird der Betrachter mit vielfachen Facetten des Begriffs Border konfrontiert: Die Rahmen der zwei Projektionsflächen, zwei kleine Bilder von Räumlichkeiten - hier von Flugzeuginterieurs - und die Überschreitung dieser materiellen Grenze, die hier durch auf die Fläche projizierte, animierte Menschen aufgehoben wird, indem sie von einer Fläche zur anderen wandern und kurzzeitig im Zwischenraum - der Wand - verschwinden. Der Fakt der Eingrenzung im geschlossenen, fliegenden Raum, das Flugzeug: Die besondere Situation des Fliegens, in der Grenzen virtuell erscheinen, Zeitzonen sich überlappen oder für den Passagier in der Luft wahrnehmlich aufgehoben werden. Der Titel Jet lag, spielt auf das physische Resultat der Zeitgrenzenüberschreitungen an.

[caption id="attachment_1667" align="alignleft" width="300" caption="Jet lag von Nicole Cohen, Borders © K. Hermann"]Jet lag von Nicole Cohen, Border©K.Hermann[/caption]

Nicole Cohen wollte das Thema Abflug/Abfahrt und Ankunft bearbeiten, diesen Zustand zwischen zwei Momenten, bei dem man in Abwesenheit und Desorientierung schweben kann. Dieser Moment, in dem man die Erinnerung an einen Raum in den nächsten Raum mitnimmt und eine Überlappung stattfindet, die auch eine Art Konfusion hervorrufen kann.

Die amerikanische Künstlerin befasst sich seit Jahren in ihren Videoarbeiten mit Räumlichkeiten, Innenausstattungen und Mobiliar. Meistens sind sie historisch aus anderen Zeiten und werden durch animierte, projizierte Personen aus der Gegenwart in einen neuen dynamischen Kontext gesetzt. Sie clashen aufeinander durch die Überlappung der immobilen Projektionsfläche, das Bild eines Interieurs und der animierten, den Proprtionen des Interieurs angepassten Videoprojektion.

Bei der Künstlerin ruft der Begriff Border Multiples hervor: The edge (Borte, Flanke, Grenze, Kante, Rand, Schneide, Umrandung...), eine spezifische Linie, die zwei Seiten trennt. Auf der einen Seite befinden sich Dinge, die in einer bestimmten Weise vorgeschrieben sind, und auf der anderen Erwartungen. Eine dünne Linie zwischen zwei verschiedenen Codes oder Arten des Wirkens. Für die Performances in Cohens Videoarbeiten agieren Personen in bestimmten Räumlichkeiten. Es gibt eine starke unsichtbare Grenze zwischen den Akteuren und ihr, der Regisseurin. Die Idee der psychologischen Grenze zwischen verschiedenen Räumlichkeiten sowie Epochen ist in ihren Arbeiten ein Leitfaden.

Nicole Cohen lebt und arbeitet seit 2008 in Berlin, reist für Aufträge oft in die USA und lebt mit dem jet lag, der bei der Ankunft in Berlin anscheinend immer heftiger ist. Sie nennt diesen Zustand auch einen «Kick», einen «Lichtkick», denn man muss das Tageslicht konfrontieren, obwohl der Körper auf Nacht eingestellt ist, und in diesem Zustand erfährt man körperliche Grenzzustände.

Künstlerische Auseinandersetzungen mit Borders


[caption id="attachment_1669" align="alignleft" width="225" caption="Trespassing von Georgi Begun, Borders © K. Hermann"]Trespassing von Georgi Begun, Border©K.Hermann[/caption]

In Unser Garten erforscht der polnische Künstler Roland Schefferski die Grenze zwischen heimisch und exotisch anhand des Gartenbeispiels. Ergebnisse der Tauchgänge in die Tiefe des Unbewussten, Resultate des Projektes ORA des Italieners Ugo Dossi und Hara Walther in Berlin werden hier zum ersten Mal gezeigt: Ab 2008 galt es als Zentrum und Entfaltungsraum für sensitive Begabungen, in dem sie Zugang zur Kreativität des Unbewussten finden und entwickeln können. Als Werkzeug wird hierfür das Phänomen des sogenannten Automatischen Zeichnens eingesetzt, mit dem unbewusste Inhalte unmittelbar, gleichsam automatisch zum Ausdruck gebracht werden können. So entstanden eine große Anzahl von ORAcles, automatische Zeichnungen mit verblüffenden Inhalten, die auf das Wirken einer transpersönlichen Intelligenz hinweisen, an der Grenze zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein...

Der Schweizer Urs Jeaggi appelliert mit seiner Rauminstallation Kampfplatz 2009 an die politische und soziale Dimension des Begriffs Border und stellt erhebliche Fragen an unsere Gesellschaft. Der Kanadier Don Ritter verblüfft mit einer interaktiven Videoinstallation Vox populi, bei der der Besucher historische Reden vor einem projiziertes Publikum halten kann, das prompt auf den Redner reagiert. Der Mazedonier Jovan Balov regt mit seiner Installation aus Video und Leinwänden Net Total zur Reflektion über geopolitische Grenzverschiebungen an.

Der russische Künstler Georgi Begun überrascht mit drei Installationen, in denen er die menschliche Figur in einem Video-Triptychon porträtiert, in Fotoarbeiten durch Gitter eingrenzt, oder mit drei im Fußboden integrierten Bildschirmen am Eingang der Ausstellung. In dieser interaktiven Installation Trespassing tritt der Besucher dem Künstler ins Gesicht, welches sich vor Schmerz verzerrt. Das Künstlerpaar Beatrijs Albers und Reggi Timmermans aus Belgien zeigen neben den vielen Videos in der Ausstellung eine Installation mit Materie, hier Textil: Taschentücher und ausgeschnittene Blazertaschen, in Schnörkelschrift mit Beautiful Borders bestickt, spielen auf den sinnlichen Aspekt des Begriffs Rand an. Die Thematisierung der damaligen Grenze in Berlin sollte bei Borders nicht fehlen. Jan Peter E.R. Sonntag zeigt hier Wall, eine Installation im Bereich der diskursiven Medienkunst. Fünf Jahre nach dem Mauerfall installierte er 100 Sinustöner auf dem brachen Feld des Postdamer Platzes bis hin zur damaligen Ausstellung Fall Wall Fall im Gropius-Bau. 20 Jahre nach dem Mauerfall bezieht er sich bei Borders wieder auf diese Intervention und metrisiert den Raum mit einer großen, weißen Leinwand-ein pulsendes Klangfeld-und setzt eine unsichtbare Linieatur.

Der Berliner Kunstverein ConcentArt e.V. schafft es, die Vielfältigkeit des Begriffs Border anhand der Mannigfaltigkeit der 17 Werke zu umschreiben und kündigt schon die nächsten vielversprechenden Ausstellungen für das Jahr 2009 auf seiner Interseite an: Strictly Berlin und Luxury.